Für mich ist ein Tag zu Hause ohne eine sinnvolle Aufgabe nach wie vor der Horror. Da plagt mich dann schon ziemlich schnell der Gedanke, was ich eigentlich mit meiner begrenzten Zeit hier auf diesem Planeten anfange. Kennst du das?
Und das schreibt der, der früher wortwörtlich vor diesem Zustand der Ruhe und Stille davongerannt ist. Ich konnte früher selten loslassen, ausser nach Sport oder mit Alkohol. Ständig ist da so ein innerer Druck da, etwas mit Wert verrichten zu müssen – also zu leisten.
Ist für dich Nichtstun Persönlichkeitsentwicklung betreiben, ein Buch lesen, die nächsten Schritte für deine Wünsche und Träume definieren oder sonst irgendetwas wertorientiertes tun? Dann lies unbedingt weiter, denn das sind zwar mögliche Tätigkeiten – aber sicher kein Nichtstun.
«Nichtstun beschreibt einen Zustand der vollkommenen Untätigkeit.» – so die Definition von karrierebibel.de. Mein Verständnis davon habe ich in der Podcast-Episode Die Kunst des Nichtstuns (Folge #08) geteilt.
Warum das noch nicht reichte
Nun, für mich hat diese Betrachtung nicht gereicht, um das Nichtstun nachhaltig im Alltag zu verankern – darum vielleicht auch der etwas provokante Einstieg als Appell zur Selbstreflexion an mich selbst.
Bei mir klappt es heute viel besser, mich wirklich mal hinzusetzen und zum Beispiel einen Kaffee oder einen Apéro zu geniessen. Von aussen tue ich also praktisch nichts – aber im Innern, in meinem Geist: Bin ich wirklich hier im Moment oder noch bei der Arbeit oder mit einem Alltagsproblem beschäftigt, das mir gerade riesig erscheint, aber eigentlich völlig unwichtig ist?
Beim Nichtstun geht es um den Zustand der vollkommenen Untätigkeit – im Innen wie im Aussen. Und hier zählt sicher Qualität vor Quantität. Aber wie kann diese Qualität, also der Grad der Untätigkeit, gesteigert werden?
Wovor haben wir eigentlich Angst?
Mich quält eine Frage: Wovor haben wir eigentlich Angst, wenn wir mal nichts tun? Ist es wirklich der Gedanke, unsere Zeit zu verschwenden – oder steckt etwas anderes dahinter?
Vielleicht fürchten wir vielmehr, dass unser ungeschulter Geist beginnt, negativ auf uns einzureden. Denn eines ist klar: Was oft als «Nichtstun» bezeichnet wird – etwa Rückzug zum Nachdenken – ist genau genommen schon wieder eine Form des Tuns.
Es braucht Mut und Bereitschaft, sich auf das echte Nichtstun einzulassen. Und zwar den Mut, unangenehme Gefühle oder Gedanken nicht gleich wegzudrücken, sondern ihnen Raum zu geben.
Worum geht es also wirklich? Um einen Zustand von innerer Ruhe und Präsenz. Und das hat nichts mit dem zu tun, was uns die Konsumgesellschaft vorspielt. Jeder Urlaub, jedes Event, jede Reise – all das ist letztlich ein Geschäft. Echte Präsenz ist darin selten zu finden. Sie ist nicht «willkommen» in einer Wirtschaft, die Aktivität mit Wert gleichsetzt.
Viele von uns sind auf der Suche nach einer Art Erfüllung oder Sinn, den wir im Alltag kaum mehr wahrnehmen – weil wir verlernt haben, einfach zu sein. Warum also fällt es uns so schwer, den Mut aufzubringen, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen? Vielleicht, weil wir vergessen haben, dass der wahre Reichtum im Innehalten und in der Achtsamkeit liegt.
Was mir neue Perspektiven eröffnet hat
Beim Lesen des Philosophie Magazins Nr. 33 – Die Kunst des Nichtstuns habe ich eine neue Perspektive gewonnen: Ein absolutes Nichtstun gibt es gar nicht. «Was so genannt wird, ist eine charakteristische Verhaltensweise, die eingenommen oder unterlassen werden kann wie jedes andere Handeln auch.»
Genau darin liegt die Provokation – in der Vermeidung von Tätigkeiten, die als lohnend oder geboten gelten.
Besonders berührt hat mich der Satz: «Wer wartet, schlägt nicht die Zeit tot, sondern kostet die Leere aus.» Das heisst: Nichtstun ist kein Verlust, sondern eine Einladung, den Moment zu erfahren.
Eine weitere Erkenntnis: Leiden entsteht dort, wo wir festklammern. «Wer es nicht vermag, sich dem natürlichen Fluss des Lebens hinzugeben, leidet. Weise hingegen ist dessen Akzeptanz und die Aufgabe von starren Zielen.» Für mich steckt darin ein klares Plädoyer für Gelassenheit und Vertrauen ins Leben.
Auch die Neurowissenschaft liefert Argumente: In Momenten des Nichtstuns aktiviert sich das sogenannte Default Mode Network (DMN). Es lässt den Geist abschweifen, bringt Erinnerungen hervor und verknüpft Gedanken neu – eine Art kreativer Leerlauf des Gehirns. Neurobiologisch betrachtet ist Nichtstun also keine Leere, sondern eine Quelle für Kreativität und innere Balance.
An dieser Stelle ein Dank an das Philosophie Magazin und Psychologie Heute – eure Artikel haben mir neue Perspektiven eröffnet und mich auf dieser Reise begleitet.
Wie ich Nichtstun heute lebe
Aber, und jetzt kommt der Clou: Nichtstun heisst ja nicht, den ganzen Tag einfach auf dem Sofa zu sitzen und an die Wand zu starren. Vielmehr geht es darum, immer wieder Momente zu haben, in denen ich voll gegenwärtig bin. Wo ich mir erlaube, dass ich gerade nichts muss. Keine Gedanken daran, was jetzt noch oder später noch sein müsste. Einfach den Moment geniessen – genau so, wie er ist.
Heute klappt es bei mir grundsätzlich ganz gut. Was es braucht, damit dies klappt, durfte ich in den letzten Monaten wieder vertiefen – auch wie wichtig es ist, «in meinem Körper zu Hause zu sein», wie es Mentaltrainer Christian Bischoff ausdrückt.
Damit ich in meinem Körper zu Hause bin, braucht es bei mir eine morgendliche Aktivierung von Körper und Geist.
Beim Körper: Bewegung – für mich sind 30 Minuten ideal. Ich habe mal über Altbundesrat Adolf Ogi gelesen, dass er während seiner Amtszeit jeden Morgen 30 Minuten joggen oder spazieren ging.
Beim Geist könnte man statt Aktivierung auch von Ausrichtung sprechen. Mit Affirmationen, Meditation oder Ähnlichem befreie ich mich einerseits von Gedanken und lenke mich andererseits in eine positive Richtung.
Du siehst: eine Reise, die tägliches Training erfordert – und mit jedem «Training» etwas leichter fällt.
Dies sind für mich aber eher Massnahmen, um nahe bei mir zu sein. Um das nötige Bewusstsein zu haben, mir das Nichtstun dann auch wirklich zu erlauben. Sprich: zu spüren, wann ich es brauche, statt einfach im Tätigkeitsmodus weiterzumachen und mich dabei zu vergessen.
Das «wahre» Nichtstun erlaube ich mir meist am Abend. Dann sitze ich für 10–15 Minuten vor dem Fenster auf dem Boden und bestaune einfach die Bergnatur, die sich mir direkt vor meiner Wohnung anbietet.
Dabei merke ich fast in jeder Sekunde, wie sich mein Nervensystem beruhigt – sofern ich mich auf das Nichtstun einlassen kann. Eine kleine Praxis mit grosser Wirkung. Und der beste Beweis dafür, dass Nichtstun alles andere als nichts ist.
Wichtigste Notiz an mich: Lieber jeden Tag 15 Minuten Nichtstun als zwei Wochen Ferien. Gibt mir mehr Energie und Ruhe.
Drei praktische Tipps für dich
Das war bisher mehr ein persönlicher Erfahrungsbericht als eine konkrete Anleitung. Deshalb hier drei praktische Tipps, um die Lücke zwischen Verständnis und Umsetzung zu schliessen:
- Verankerung: Es braucht einen bewussten Entscheid für das Nichtstun. Ein klares Warum, weshalb es sich lohnt, das zu praktizieren. Nichtstun soll Teil des Alltags sein, nicht nur ein schöner Gedanke oder eine zusätzliche Pflicht. Ich habe mir das verankert – unter anderem mit einem Satz als Desktop-Hintergrund: «Für mich ist Nichtstun genauso wichtig wie produktive Zeit.» Eine kleine Erinnerung im Alltag mit grosser Wirkung.
- Erlauben: Das ist oft der schwierigste Teil – sich das Nichtstun wirklich zu erlauben und sich darauf einzulassen. Mir hilft dabei Meditation. Ich habe dazu auch eine Mini-Meditation als Podcast-Episode aufgenommen – einfach als Einladung, es selbst auszuprobieren. 👉 Hier geht’s zur Meditation
- Raum schaffen: Nichtstun braucht einen bewussten Raum, in dem es überhaupt möglich wird. Einerseits im Geist – sich das Jetzt zu nehmen. Andererseits im Praktischen, also zeitlich und örtlich.
Ich stelle mir bewusst einen Wecker (10–15 Minuten) und lege das Handy weg. Für mich funktioniert das nur allein. Es ist mein Raum, in dem ich bei mir ankommen kann – ohne fremde Einflüsse.
Nichtstun als stille Rebellion
Mir gefällt Nichtstun auch als eine Form von Gesellschaftskritik aus der philosophischen Betrachtung. Eine von Arbeit befreite Gesellschaft wäre nicht einfach dem Nichtstun verschrieben, sondern würde zuerst fragen, was wirklich für ein gutes Leben gebraucht wird.
Das finde ich spannend, weil es zeigt: Nichtstun ist weniger Stillstand als vielmehr die Chance, neu zu definieren, was uns wirklich wichtig ist.
Lass uns doch gemeinsam – durch bewusstes Innehalten – ab und zu ein kleines Stück Gesellschaftskritik ausüben. Dabei bei uns selbst ankommen und dem Konsum- und Leistungswahn entkommen. Zurück zu unserem Urzustand, in dem wir mit uns selbst und der Welt im Einklang sind – einfach so, ohne etwas dafür leisten zu müssen.
Wenn dir dieser Artikel ein paar Anhaltspunkte liefern konnte, freut mich das. Teile gerne, was du für dich mitnehmen konntest und wie du das Nichtstun erlebst. ⬇
Dieser Blog-Artikel sowie die erwähnte Mini-Meditation wurden im Rahmen des Mental Health Day 2025 veröffentlicht. Warum Nichtstun für die Prävention psychischer Erkrankungen so wichtig ist, erfährst du in diesem Einführungsartikel.
Weiterführende Informationen
Links zur Inspiration:
- Philosophie Magazin Nr. 33 – Die Kunst des Nichtstuns: https://www.philomag.de/archives/die-kunst-des-nichtstuns-sonderausgabe-33
- Psychologie Heute 4/2025 – «Im Fokus: Nichtstun»: https://www.psychologie-heute.de/abo-shop/detailseite/43846-psychologie-heute-42025-meine-verborgenen-seiten-und-ich.html
- KPT Magazin 2/25 – Ruhe (Default Mode Network): https://issuu.com/kptmagazin/docs/kpt_magazin_2_25_-_ruhe
- Lieber Elektroschocks als Nichtstun: https://www.spektrum.de/news/lieber-elektroschocks-als-nichtstun/1299049
- Definition Nichtstun: https://karrierebibel.de/nichtstun/
- CSS Lebenszeit – Strassenbefragung zum Nichtstun: https://lebenszeit.css.ch/


Schreiben Sie einen Kommentar